Fachtagung 2012
Vision Jugendhilfe
gegenwärtig - zukunftsorientiert - nachhaltig
Tagung an der Universität Vechta - 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis
Am 1. und 2. März fand unter dem Titel „Vision Jugendhilfe – gegenwärtig, zukunftsorientiert, nachhaltig“ die Fachtagung Jugendhilfe 2012 der Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen Weser-Ems in der Aula der Universität statt. Dieses Jahr erstmalig in Kooperation mit dem Bereich Soziale Arbeit der Universität Vechta. Tendenzen in der Jugendhilfe, Anforderungen an Konzepte und Entwicklungen in der Zukunft - das Themenspektrum der Fachtagung Jugendhilfe 2012 war breit gefächert, stationäre Erziehungshilfeangebote standen dabei besonders im Fokus der Tagung, zu der fast 90 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus ganz Deutschland nach Vechta gekommen waren. Eingestimmt wurden die Tagungsgäste auf das Thema Jugend und Zukunft durch die Musical-AG Activity des Gymnasiums Antonianum, die Auszüge aus ihrem Musicalprogramm Linie 2 sangen und für große Begeisterung sorgten.
Zur Eröffnung der Tagung, zu der auch Vechtas Bürgermeister Helmut Gels und Landrat Albert Focke erschienen waren, sprach der renommierte Sozialphilosoph und Soziologe Prof. Dr. Oskar Negt über „Entwicklungstendenzen in der Jugendhilfe und die Rolle der helfenden Berufe in der Zukunft.“ In seinem Referat machte Negt die Zielsetzung der Fachtagung deutlich: Visionär sollte gedacht werden, den Blick auf eine zukunftsorientierte und nachhaltige Jugendhilfe gerichtet. Mit Blick auf den Landkreis Vechta sagte Negt, dass der Landkreis stolz sein könne, soviel Geld für die Jugendhilfe zur Verfügung zu haben, nachdem Landrat Albert Focke in seinem Grußwort festgestellt hatte, dass die Ausgaben für die Jugendhilfe in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen seien.
Das Organisationsteam zeigte sich mit dem Verlauf der Tagung sehr zufrieden und zog ein positives Resümee zur Kooperation. „Die Tagung hat gezeigt, dass der Dialog zwischen Praxis und Forschung hervorragend funktioniert“, so Waltraud Neumann, Fachsprecherin der Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen Weser-Ems. Dies unterstrich auch Prof. Dr. Kim-Patrick Sabla von der Sozialen Arbeit an der Universität Vechta: „Wir haben mit der AG-Erziehungshilfen Weser-Ems eine starke Partnerin gefunden und wir freuen uns über weitere gemeinsame Projekte.“ Ergebnis dieser guten Kooperation: Es wurde beschlossen die nächste Fachtagung zur Jugendhilfe wieder regulär gemeinsam stattfinden zu lassen.
v.l.: Elisabeth Wulff (Universität Vechta), Waltraud Neumann (Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen Weser-Ems), Prof. Oskar Negt, Prof. Marianne Assenmacher (Präsidentin der Universität Vechta), Prof. Kim-Patrick Sabla (Universität Vechta), Foto: Detlev Lindau Bank
Quelle: Marketing/Presse, Universität Vechta
- Widerspruchsarbeit - veränderte Arbeitsbedingungen in den psychosozialen Arbeitsfelder (Christine Morgenroth, Oskar Negt) (PDF)
- Jugendhilfe wirksam gestalten (Thomas Neumann) (PDF)
- Handout -_Bildung zur Nachhaltigkeit (Detlev Lindau Bank, Andreas Hoenig) (PDF)
- ZbfH Jeringhave: Bedarfsgerechte und familienanaloge Hilfen (PDF)
- Arbeitsgruppe Emotionalintelligenz (Aat van der Harst) (PDF)
Arbeitsgruppe 3. (vom 02. März 2012)
Partizipation von Familien in Erziehungshilfen, Eltern bleiben Eltern
mit Christian Ilgeroth und Reinhold Jacobs
(Heilpädagogisches Kinderheim Waisenstift Varel)
Die Aufgabe der Jugendhilfe besteht vor allem darin, „mit Menschen an der Erkenntnis, Formulierung und gleichzeitig der Veränderung ihrer Bedürfnisse zu arbeiten, die dies nicht nur nicht gewohnt sind, sondern die systematisch durch Misserfolge in Schule, Beruf etc. aus Lern- und Erkenntnisprozessen ausgegrenzt wurden“.
Wir gehen davon aus, dass nur mit den einzelnen Familienmitglieder gemeinsam geeignete Hilfe- und Unterstützungsformen zu finden sind.
„Beteiligung ist somit nicht gut gemeinte Zusatzbehandlung, sondern notwendige Voraussetzung für fachliches Handeln in der sozialen Arbeit.“ (Pluto in: Seckinger (Hrsg.) 2006, S. 156 )
Partizipation zielt generell auf Demokratisierung, quasi eine partnerschaftliche, gleichwertige Beteiligung von Eltern an allen Phasen des Hilfeprozesses durch Einbringen und Durchsetzen von Interessen, durch zunehmende Selbstverwirklichung der Betroffenen, durch Erleben von Solidarität und die Möglichkeit, Konflikte angstfrei auszutragen.
Eltern werden als Kunden gesehen, sozusagen als Experten in eigener Sache
…das beinhaltet demnach ein „tatsächliches Ernstnehmen“ (Nüberlin 1997, S. 61) des Klienten als Person, also eine „Entklientisierung“, eine Umverteilung von Macht und Verantwortung
…als Interaktionsprozess zwischen sogenannten Fachkräften und Laien.
Nach THIERSCH (2002) ist Partizipation
„in den unvermeidlich gegebenen Unterschiedlichkeiten zwischen denen, die auf Hilfe angewiesen sind und denen die sie gewähren – zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen, zwischen Nicht-professionellen und Professionellen, herzustellen.“ (Thiersch u. a. 2002).
Wir haben den ArbeitsgruppenteilnehmerInnen unsere Umsetzung von Partizipation in Familien in Erziehungshilfen anhand der Arbeit in einer Familie in unterschiedlichen Betreuungssettings näher gebracht.
Die Eheleute Herr Hilmann (43 Jahre) und Frau Hilmann (38 Jahre, geb. P.) wohnen in Wilhelmshaven. Sie leben gemeinsam mit ihren beiden (ehelichen) leiblichen Kindern:
- M. Hilmann (10 Jahre): M. besucht die 3. Klasse einer GS.
- C. Hilmann. (7 Jahre): C. besucht die 1. Klasse der gleichen GS.
Ferner wohnt im ehelichen Haushalt Frau Hilmanns Tochter aus der geschiedenen Ehe mit Herrn Ulmann.
- A. Ulmann (12 Jahre): A. besucht die 6. Klasse der IGS.
Frau Hilmann hat drei weitere Kinder, zu denen sie regelmäßigen Kontakt pflegt:
- A. Ulmann (19 Jahre): A. lebt nach dem Auszug aus dem mütterlichen Haushalt seit April 2010 in der Wohngruppe in Wilhelmshaven. Sie ist Tochter Frau Hilmanns aus der geschiedenen Ehe mit Herrn Almann.
- S. Ulmann (16 Jahre): S. wohnt bei seinem Vater Herrn Ulmann in Nordrhein Westfalen. S. besucht eine BBS.
- R. Ulmann (15 Jahre): R. wohnt ebenfalls bei seinem Vater in Kleve. R. besucht die 9.Klasse einer Hauptschule.
Nachdem die Lebensgemeinschaften bereits über einen Zeitraum von mehreren Jahren Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) „in Anspruch“ nahmen und das zuständige Jugendamt dennoch die Unterbringung von 3 weiteren Kindern anregten, entschied sich die Familie Hilmann zur Abklärung existentieller Fragen zur Beantragung eines FAM-Clearing (s. www.fam-waisenstift.de).
In diesem auf 2 Wochen und 40 Stunden festgelegten Angebot wurden folgende Fragen und Fragenkomplexe beantwortet:
- Ressourcen der Eheleute (u.a. Fragen nach der Stabilität der Partnerschaft und nach Ergänzungen und Blockaden)
- Erziehungsressourcen der Eltern (u.a. Fragen nach dem erzieherischen Alltag, den Ritualen und Regeln, dem Bindungsverhalten – den Beziehungen untereinander)
- Bedarfe der Kinder (u.a. Fragen nach Förderungsmöglichkeiten, der Inanspruchnahme sozialräumlicher Angebote)
- Risikoeinschätzung (u.a. Chancen der Abwehr von Gefährdungslagen)
- Empfehlungen (u.a. ist eine stationäre Unterbringung eines oder mehrerer Kinder notwendig, welche Alternativen bieten sich).
Die Fachkraft empfahl dem Jugendamt und der Familie Hilmann die gemeinsame Unterbringung von Frau Hilmann mit ihren 3 Kindern in einem wohnraumnahen Angebot der Stationären Familienhilfe.
Die Fachkraft begründet die Empfehlung u.a. mit einer zu fördernden Mutter-Kind-Bindung und dem Wunsch der Frau Hilmann „alles in meiner Macht stehende zu tun, um mit meinen Kindern zusammen leben zu können“.
Die gemeinsam formulierten Aufträge an die Stationäre Familienhilfe waren:
- Aufrechterhaltung der bestehenden Netzwerke der Familie (u.a. Kontakte zu Angeboten im Sozialzentrum, Weiterführung der Beschulung)
- Stärkung des Selbstwertgefühls und der Persönlichkeit Frau Hilmanns
- Aufbau und Training einer für die Kinder förderlichen Alltagsstruktur
- Aufbau und Training eines für die Kinder förderlichen Umgangs mit Regeln, Grenzen und Konsequenzen
- Erweiterung des erzieherischen Handlungsrepertoires Frau Hilmanns
- Aufbau einer Finanz- und Haushaltsplanung
- Anbahnung einer Psychotherapie für Frau Hilmann (u.a. Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse)
- Anbahnung einer Suchtberatung für Herrn Hilmann (Alkoholmissbrauch)
- Anbahnung einer Paartherapie etc.
Die Familie (ohne Ehemann und Vater der Kinder) bezog gegen Ende des Jahres 2010 ein Appartement auf dem Gelände des Waisenstiftes Varel.
Die Stationäre Familienhilfe bietet folgendes Setting:
Aufnahme der Teilfamilie über einen geplanten Zeitraum von 6 Monaten mit einer wöchentlichen Betreuungszeit von 30 Stunden.
Die inhaltliche Gestaltung der Maßnahme oblag
- 1 Familientherapeut / Dipl. Soz.Päd. Soz.Arb. mit Arbeitsschwerpunkten im Bereich der therapeutischen Interventionen, Arbeit auf der Erwachsenen- und Metaebene. Darüber hinaus Regie, Steuerung und Prozessgestaltung der Maßnahme.
- 1 Dipl. Pädagogin mit den Arbeitsschwerpunkten pädagogische Interventionen, Arbeit an persönlichen Fragestellungen der Kindesmutter, Arbeit am Erziehungsverhalten, Umgang mit Gefährdungssituationen für Kinder, Regelung der finanziellen Angelegenheiten, Arbeit auf den Ebenen Eltern und Eltern-Kind-Beziehung.
- 1 Dipl. Sozialpädagogin mit den Arbeitsschwerpunkten Einzelförderung der Kinder, Geschwisterkonstellation
- 1 Erzieherin mit den Arbeitsschwerpunkten Unterstützung, Anleitung, Begleitung und Entlastung der Kindesmutter in kindbezogenen und lebenspraktisch relevanten Fragestellungen, Erarbeiten eines kindgerechten Tagesrhythmus
- 1 Hauswirtschaftskraft zur Unterstützung und Anleitung in allen diesbezüglich relevanten Fragestellungen
Nach bereits 2 Monaten mussten die KollegInnen konstatieren, dass Frau Hilmann nicht für eine erfolgversprechende Mitarbeit aktiviert werden konnte. Dies galt für die vorab eigens definierten Zielstellungen, wie auch die vom Kostenträger formulierten Aufträge, die von Frau Hilmann ebenfalls lediglich unzureichend im vorgegebenen Rahmen verfolgt wurden. Mehrfache Veränderungen / Nachjustierungen des Settings und der inhaltlichen Ausgestaltung konnten keine relevanten Veränderungen erwirken.
Im Abschlussbericht betont die Fachkraft: „Neben den beschriebenen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Frau V. und positiven Entwicklungen im Familiensystem während des Prozessverlaufs gibt es aus unserer fachlichen Einschätzung und Prozessbewertung eine Anzahl von Risikofaktoren, die eine gesunde, störungsfreie und kontinuierliche Weiterentwicklung der Kinder in hohem Maße gefährden“.
„In unserer abschließenden Bewertung der Stationären Familienhilfe kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir das Verhalten der Frau Hilmann ohne weitere intensive Begleitung in Form von Anleitung und Kontrolle für die Kinder als nicht weiter tragbar bewerten. Unsere Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung gründet sich darin, dass problematische Aspekte oder Ereignisse von hoher Intensität die kindliche Entwicklung beeinträchtigen oder gefährden. Darüber hinaus traten die schädigenden Bedingungen wie z.B. die unzureichende basale und emotionale Versorgung nicht nur einmalig oder selten auf, sondern zeigten sich den beteiligten Fachkräften in Form eines Strukturmusters. Der Mutter ist es im Maßnahmeverlauf nicht ausreichend gelungen, eine adäquate Entwicklungsförderung berücksichtigende und dringlich notwendige Musterveränderung zu erwirken. Erweiternd sind aufgrund genannter Bedingungen Schädigungen der Kinder und deren Entwicklung absehbar bzw. bereits eingetreten. "Ist das Kindeswohl mindestens in einem Aspekt gefährdet oder schon geschädigt, so handelt es sich um Kindeswohlgefährdung. Eine Kindeswohlgefährdung ist bereits dann gegeben, wenn die Bedingungen für das seelische, sprich emotionale und soziale, das geistige und/oder das körperliche Wohl nicht gegeben sind und damit die gesunde Entwicklung des Betroffenen gefährdet ist oder sogar bereits eine Schädigung vorliegt. Das Gesetz spricht von geistigem, seelischem und körperlichem Wohl. Es sind alle Bereiche der menschlichen Entwicklung und Sozialisation als gleichwertig und gleich wichtig anzusehen (s. §1666 BGB). Damit ist jede Kindeswohlgefährdung als gleich schwerwiegend zu betrachten, unabhängig davon, in welchem Bereich sie besteht". Vor dem Hintergrund bisheriger für das Familiensystem eingesetzter professioneller Unterstützung sowie in Würdigung der Ergebnisse der Stationären Familienhilfe zeichnete sich für die beteiligten Fachkräfte insgesamt für die Kinder A., M. und C. „eine negative Prognose plus hohe Wahrscheinlichkeit des Schadens ab“.
Das Jugendamt der Stadt Wilhelmshaven hat sich auch im Hinblick auf zuvor benannte Risikofaktoren entschieden der Empfehlung der Stationären Familienhilfe nachzugehen und die 3 Kinder in unserem ZbfH-Jeringhave unterzubringen (s.u.)fe nachzugehen und die 3 Kinder in unserem ZbfH-Jeringhave unterzubringen (s.u.).